FACHKRÄFTEMANGEL DEUTSCHLAND

Fachkräftemangel so groß wie seit der Wieder- vereinigung nicht mehr

Noch nie haben Deutschland so viele Fachkräfte gefehlt wie heute.

Der Dienstleistungssektor und das Verarbeitende Gewerbe sind

dabei am stärksten betroffen.

D

er Fachkräftemangel erreicht in Deutschland einen neuen Höhepunkt, welcher sich ebenfalls in den Rekordwerten an offenen Stellen der Bundesagentur Ar- beit seit der Wiedervereinigung spiegelt. 44 Prozent der Unternehmen gaben

im April 2022 an, dass der Fach- kräftemangel die Geschäftstätig- keit behindert. Dabei sind große Unternehmen mit 45 Prozent et- was häufiger betroffen als kleine und mittlere mit 43 Prozent.


Am härtesten trifft es den Dienst- leistungssektor. Dort klagt jedes zweite Unternehmen über man- gelndes Fachpersonal. Mit 40 Prozent der betroffenen Firmen erreicht das Verarbeitende Ge- werbe den zweithöchsten Anteil. 36 Prozent der Unternehmen im Baugewerbe und 34 Prozent im Handel leiden unter dem beste- henden Mangel.


Auswirkungen des Fachkraftmangels auf die deutsche Wirtschaft

Die aktuelle Lage ist geprägt von internationalen Lieferengpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten, der massiven Preissteigerung von Energie und Materialien und den Fol- gen des Krieges in der Ukraine, wie beispielsweise mögliche Auswirkungen eines Liefer- stopps von russischem Erdgas. Es ist jedoch zu erwarten, dass unter der Voraussetzung, dass die Energieversorgung nicht unterbrochen wird, die deutsche Wirtschaft sich im weiteren Verlauf des Jahres langsam erholen wird.


Fachkräftemangel auch in der Zukunft ein bestehendes Problem?

Auch wenn sich die Wirtschaft von der aktuellen Situation erholen kann, der Fachkräf- temangel bleibt. Der demografische Wandel schreitet voran und trifft den Arbeitsmarkt besonders hart. Seit 1991 wächst die Zahl der Rentner stetig, während sowohl die An- zahl der Haupterwerbstätigen (zwischen 19 und 65 Jahren), als auch die der unter 18- jährigen Kindern und Jugendlichen leicht zurückgeht. Dies bedeutet, dass die Erwerbs- tätigen seit Jahren immer mehr Rentner versorgen müssen. Die Prognose lautet daher, dass zwischen den Jahren 2025 und 2035 die Erwerbsbevölkerung um ca. 500.000 Menschen (1%) pro Jahr fortlaufend abnehmen wird.


Haltung der deutschen Bevölkerung zur Migrationspolitik

Laut einer aktuellen Befragung der KfW-Research sieht die deutsche Bevölkerung die Notwenigkeit einer aktiven Einwanderungspolitik. 83 Prozent der 18- bis 67-Jährigen sprechen sich für eine mindestens gleichbleibende Bemühung um ausländische Fach- kräfte aus. Darunter sind 48 Prozent der Meinung, dass ein noch größeres Engagement betrieben werden sollte. 15 Prozent sind allerdings dagegen und wollen eine geringere Fachkräftezuwanderung. Im Vergleich zu derselben Umfrage vor drei Jahren, ist die Hal- tung zur Migrationspolitik insgesamt offener geworden.


Zuwanderung: Lösung für den Fachkräftemangel?

Es ist durchaus erkennbar, dass die Einstellung zur Zuwanderung von bestimmten Merkmalen abhängig ist: Menschen mit höherem Einkommen und Arbeitsmarktstatus, wie beispielsweise Akademiker und Beamte, sind mit einer deutlichen Mehrheit von cir- ca 60 Prozent für mehr Zuwanderung. Unter Arbeitslosen sprechen sich nur noch 35 Prozent für eine verstärkte Fachkräftezuwanderung aus, denn diese Gruppe befürchtet am meisten eine verstärkte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch ist das Pro- blem mit einer Zuwanderung nicht gelöst. 2021 wanderten laut den vorläufigen Anga- ben des Statistischen Bundesamtes per Saldo 329.000 Menschen nach Deutschland ein und trotzdem hat sich der Fachkräftemangel weiterhin verstärkt. Dies liegt daran, dass die mitgebrachten Qualifikationen und Deutschkenntnisse nicht mit dem, was die Un- ternehmen benötigen, übereinstimmen. In vielen Fällen sind die Zugewanderten als Hilfskräfte tätig. Um also den Fachkräftemangel mindern zu können, ist in erster Linie eine verbesserte Strategie zur Fachkräftesicherung nötig und besonders ihre konse- quente Umsetzung.

Es wäre ein Fehler, bei Engpässen, die den

"

Aufschwung behindern, nur an Rohstoffe

und Vorleistungen aus dem Ausland

zu denken. Auch der Fachkräftemangel

allem auf längere Sicht vermutlich

noch gravierender sein werden.“

hat erhebliche Auswirkungen – die vor

Chefvolkswirtin der KfW Bankengruppe, Dr. Fritzi Köhler-Geib

Grafik: KfW-ifo-Fachkräftebarometer Mai 2022, Fotos:Vita Dr. Fritzi Köhler-Geib/KfW; ArTo, Reinhard, industrieblick, Ingo Bartussek/stock.adobe.com